aparigraha 01: Aussortieren
Erinnerungen… formgewordene Erlebnisse, nur für uns erkennbare Botschaften hinter einfachen Dingen, das Herzstück unserer Sammelleidenschaft, der Inhalt unserer Kisten. Vor genau 10 Jahren beschäftigte mich dieses Thema ganz besonders, als ich meine Diplomarbeit darüber schrieb. Ich wollte herausfinden, welche Bedeutung Erinnerungen und Hinterlassenschaften für uns haben und warum wir so gerne Dinge aufbewahren.
Erlebnisse wie der Tod meines Opas ließen mich darüber nachdenken: Was bleibt eigentlich, wenn wir gehen? Und können wir überhaupt etwas mitnehmen ins Jenseits? Damals stieß ich auf ein sehr schönes Projekt des Bestattungsunternehmens Pütz & Roth aus Bensberg. „Einmal jenseits uns zurück“ ist der Titel des 2006 erschienen Buches und der vorhergegangen Aktion. Fritz Roth lud damals 100 Personen verschiedensten Alters und Prägung dazu ein, einen Koffer für ihre letzte Reise zu packen. Erstaunlich wie unterschiedlich die Inhalte waren: Mal bis zum Rand voll, mal unspektakulär leer. Was würde ich wohl mitnehmen?
Eine berechtigte Frage. So sammeln sich seit mittlerweile über 3 Jahrzehnten „Erinnerungen“ in meinen eigenen 4 Wänden an. Kisten voller Tagebücher, Briefe aus meiner Kindheit, analoge Fotos und Videos, Abschlussarbeiten, Mixtapes… aber vor allem der viele kleine Tinnef, dessen Bedeutung nur ich kenne. Ein Lamy Füller? Nein, DER Lamy Füller… der erste mit dem ich jahrelang in der Schule Hefte voll geschrieben habe. Meine erste Pillenpackung. Irische Pfund Münzen. Eine Plastikfigur aus dem Ü-Ei namens „Sascha Schlappohr“. Kleine zusammengefaltete Briefchen. Liebesbriefe, die ich nie abgeschickt habe. Mein Abi 2000 Kostüm. Hausaufgaben aus der 4. Klasse. Meine kleine Tigerente. Und noch viel mehr.
Genau dazu, zu dem Sammeln von persönlichen Erinnerungen, forderte ich Freunde und Bekannte 2006 im Rahmen meiner Diplomarbeit auf. „Packe Deine Erinnerungskiste!“ um wichtige Dinge zu bewahren. Diese Kiste gestaltete ich damals aufwendig im Muster einer alten Tapete meines Opas und packte mein Buch „Lebensspuren“ dazu. Während der Zeit dokumentierte ich intensiv und fleißig was ich tat und dachte, konserviert in Büchern, Kisten und Tüten, ganz so wie Jonathan in dem Buch (und Film) „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer. Ich war fasziniert von dem Gedanken mein Leben zu festzuhalten, da ich dachte es würde sonst vergessen und die nach mir es nicht mehr finden. „Und wenn?“ frage ich mich heute.
Damals empfand ich dieses Bewahren als essentiell. Heute muss ich es belächeln und empfinde es oft als Last. Woran hab ich damals festgehalten? Warum war es mir so wichtig an vergangenen Momenten zu klammern? Ich hatte Angst sie zu vergessen. All die Briefe, die Fotos, die Gegenstände waren (und sind heute zum Teil immer noch) Gedankenstützen für mich und helfen mir zu erinnern. Klar, das ist ja auch eine gängige Methode der Altenarbeit und hat definitiv eine emotionale Wirkung auf uns. Aber brauche ich unbedingt Gegenstände um mich zu erinnern? Und muss ich mich überhaupt an alles erinnern? Behält man nicht von alleine im Kopf was wirklich wichtig ist? Ich bin jetzt, in diesem Moment. Dieser Moment ist im nächsten auch wieder Vergangenheit. Momente vergehen… sie sind Vergangenheit. Wenn ich nichts festhalte, wenn ich loslasse, kann ich auch wieder empfangen und frei sein. Festhalten an etwas und der Wunsch Dinge (oder auch Gedanken) besitzen zu wollen, kann uns ausbremsen und verharren lassen. Das wäre sehr schade, denn das Leben ist in Bewegung und spätestens, wenn es sich dem Ende nähert werden wir merken, dass all das Festhalten uns kein Stück weitergebracht hat. Wir sind dann weder glücklicher noch weiser und vielleicht haben wir sogar mehr verpasst als wir dachten. Das Nicht-Festhalten-Wollen kann im Gegenteil dazu führen, etwas ohne Zutun zu erhalten.
Was steckt hinter der Aktion „aparigraha“?
Die Idee des Nicht-Festhalten-Wollen („aparigraha“ im Sanskrit und 5. Yama nach Patanjali) hat mich dazu motiviert auszusortieren, materiell als auch gedanklich. Einige Ereignisse im letzten Jahr haben mich für mein Vorhaben 2016 weiter bestärkt. Bei dieser Aktion machen im Januar meine persönlichen Erinnerungskisten den Anfang. Gerade deshalb weil ich mich davon besonders schwer trennen kann.
Vorgehen
Zunächst bilde ich 3 Inseln, denen ich die Gegenstände während der Sortierung zuordne. Das was weg kann unterteile ich weiter in „Müll“, „zu verkaufen“ und „zu verschenken“. Gegenstände mit denen ich mich schwer tue, wie z.B. Briefe und Fotos hebe ich für „später…“ auf. Ich werde sie zu einem späteren Zeitpunkt durchgehen und entweder aufheben, oder mich bewusst davon verabschieden, z.B. durch verbrennen.
- weg damit!
- später …
- behalten
Weg damit
Beim Ausmisten der Erinnerungskisten packe ich eine Kiste voll Papier ins Altpapier, einen Wäschekorb Plastikzeug in die gelbe Tonne und eine kleine Kiste in den Restmüll. Was noch materiellen Wert hat, lege ich beiseite um es im Laufe des Jahres bei ebay oder auf dem Trödelmarkt zu verkaufen. Ganz besondere Gegenstände hebe ich auf, um sie gezielt und frei zu verschenken. Darauf freu ich mich am Meisten.
- Müll
- ebay & Co
- Trödel
- zu verschenken
Später…
Es gibt Dinge, von denen mag ich mich nicht (direkt) trennen. Ich stelle sie gesondert beiseite und hebe sie mir für später auf. Immerhin: von 11 Kisten sind das nur noch 6. Knapp um die Hälfte bin ich also schon mal leichter geworden. Wie gehe ich nun weiter damit vor?
- eine Nacht drüber schlafen
- andere Personen diese Dinge aussortieren lassen
- in Ruhe anschauen & durch ein Ritual entsorgen (z.B. verbrennen)
Mein Fazit
Einen ganzen Abend habe ich damit verbracht, diese 11 Kisten (plus 4 weitere, die ich noch gefunden habe) auszusortieren. In jeder Hinsicht hat es mir Freude bereitet, das steht fest. Ob das Schwelgen in Erinnerungen oder das Ausmisten und Entsorgen… es war eine Reise durch mein vergangenes Leben, das ich ohne Probleme und guten Mutes so stehen lassen kann. Daher fiel mir das Aussortieren auch nicht schwer. All die Inhalte meiner Kisten hatten ihre Zeit und ihre Bedeutung. Heute gehe ich weiter und brauche sie nicht mehr, zumindest nicht in materieller Form. Das was wichtig ist, bleibt. Mit einigen Gegenständen tue ich mich aber nach wie vor schwer und werde sie deshalb auch behalten. Das sind: 5 Kisten Fotos, 2 Kisten Tagebücher und Briefe, 1 Kiste Gegenstände und 1 Kiste nur mit Erinnerungen an meinen Papa. Diese können auch weiter auf dem Regal stehen und etwas verstauben. Es gibt mir ein schönes Gefühl, dass sie da sind. Auch mit Staub.
Über die Aktion „aparigraha“
Mein Vorsatz für das Jahr 2016 ist endliche mal auszusortieren und innerlich „klar“ zu werden. Ich beschäftige mich dabei verstärkt mit „aparigraha“, dem sich Freimachen vom Materiellem und Horten von Dingen, eines der 5 Yamas der Yoga-Sutras von Patanjali. Jeden Monat werde ich mir ein neues, eigenes Thema vornehmen, Ziele setzen und diese innerhalb der 4 Wochen umsetzen. Der Plan ist Stück für Stück zu entrümpeln, bis ich mich später im Jahr von meiner Wohnung trennen und mich verkleinern werde.
Hey Danni, ein sehr interessanter Artikel von dir! Auch ich habe (nachdem ich 8 Monate aus einem Backpack gelebt hatte) meine Wohnung zuhause ausgemistet. Auf Reisen merkt man erst, mit wie wenig man eigentlich zufrieden ist/sein kann. Außerdem verlagerte sich mein Bewusstsein sehr auf Minimalismus. Nicht extrem, aber doch immer mehr.
Zuhause angekommen mussten erst einmal die Klamotten daran glauben (ich brauche auch nach dem aussortieren glaub ich nie wieder Klamotten einkaufen gehen!). Dann fiel mir das Buch „Magic Cleaning“ in die Hände. Ich habe es verschlungen. Und angewendet. Erst vor ein paar Wochen. Es wurden nochmal Klamotten aussortiert. Bücher, die ich vorher nicht angerührt hatte, wurden entsorgt/verkauft. Und es ging auch anderen (emotionalen) Habseligkeiten an den Kragen. Ich wollte mich befreien, leichter werden. Und jetzt, nachdem ich alles geordnet habe fühle ich mich einfach nur gut.
Das will ich auf jeden Fall beibehalten!
Dir alles Gute!
Melanie
Hallo liebe Melanie,
das stimmt: oft merkt man erst auf Reisen wie wenig man eigentlich braucht. Nach Thailand sind es uns auch wieder so. Zu Hause angekommen hat mich unserer Wohnung und dessen Inhalt fast erschlagen. Der Plan zum Frühjahr noch mehr auszumisten steht! Das Ausmisten und loslassen nimmt einfach kein Ende… vielleicht besitzen wir am Ende wirklich nur noch ein Backpack? Wer weiß :-)
Alles Liebe Dir & viele Grüße aus Köln
Danni