Was ist Yoga eigentlich?

In Vorbereitung auf meine Yogakurse bereite ich immer auch mich selbst vor. In dem ich Yoga aus der Perspektive meiner Teilnehmer betrachte, werde ich selber zum Schüler, was ich im Grunde immer bin. Neben der regelmäßigen Yogapraxis, also der Stärkung und Entspannung des Körpers, meine ich damit auch die Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Werten sowie mit der Yoga Philosophie. Das Lesen und Reflektieren bringt mich immer wieder zurück zu meiner inneren Stille, zu einem bewussten Handeln und auch zu Frieden. Jedesmal stelle ich mir aufs Neue die Frage: Was ist Yoga eigentlich?

Yoga in den heiligen Schriften

Das was wahrscheinlich die meisten mit Yoga meinen, nämlich Yoga als eine Form der körperlichen Ertüchtigung, ist nur ein Teil einer weitaus komplexeren und größeren Idee. Yoga ist viel mehr eine Wissenschaft, die sich seit über 3000 Jahren mit dem Körper, der Atmung und dem Geist beschäftigt. In den „Upanishaden“, den ältesten überlieferten Schriften des Yoga, haben sich die Gelehrten bereits mit der Bedeutung von Karma (die Erkenntnis, dass jede Tat eine Folge hat), der Wiedergeburt und den ersten Yoga-Übungen (wie z.B. Askese, Fasten, Meditation) beschäftigt. Auch der Urlaut „OM“ und Ayurveda (die Wissenschaft des Lebens und traditionelle indische Heilkunst) wurde damals bereits erwähnt.

Über die Jahrhunderte wurde die Philosophie des Yoga weiter betrachtet, erfahren und überliefert. Um Christi Geburt – der genau Zeitpunkt ist nicht bekannt – entstand die wohl bedeutendste Schrift des religiösen Yoga, die Bhagavad Gita, die Essenz des Ramayana Epos. Parallel verfasste Patanjali, ein weiterer indischer Gelehrter, die Yoga Sutras, die bis heute als der klassische Leitfaden des Yoga gelten. Daraus leitet sich auch einer der vier klassischen Wege des Yoga ab: Raja Yoga (der „königliche Weg“). Die drei weiteren Wege des Yoga sind Bhakti Yoga (Hingabe an das Göttliche durch Gebete, Rituale und Mantras), Karma Yoga (selbstloses Handeln, ohne Gedanken an Erfolg oder Misserfolg) und Jnana Yoga (Weg der Weisheit durch das Studieren der Schriften).

Raja Yoga und der achtgliedrige Pfad

Die Idee des Raja Yoga nach Patanjali ist es, den Geist zu betrachten und zu beherrschen. Den Weg dorthin beschreibt der achtgliedrige Pfad (Ashtanga Marga), eine Art Leitfaden um den Körper und den Geist zu reinigen und gleichzeitig auf „Samadhi“ (die Erleuchtung/ die innere Freiheit)) vorzubereiten. Die einzelnen Stufen dieses achtgliedrige Pfades sind alleine so umfangreich und spannend, dass ich darüber separat schreiben werde. Ein Thema der ersten Stufe der Yamas (der Umgang mit Anderen / der Umwelt) hat mich bereits 2016 so sehr beschäftigt, dass ich daraus ein eigenes Projekt gemacht habe. Aparigraha, das Freimachen vom Materiellem und Horten von Dingen (Loslassen). Hier im Blog habe ich meine Aktion von damals dokumentiert.

Yoga ist keine Religion, sondern viel mehr eine Philosophie. Die Yogis glauben nicht an eine höhere Instanz, sondern folgen der Idee etwas zu erfahren und es dann zu wissen.

Krishnamacharya, B. K. S. Iyengar und Pattabhi Jois (v.l.n.r.)

(Fotos © Film „Der atmende Gott“)

Yoga in der Moderne

Erst im späten 19. Jahrhundert wurde der Körper mehr in das Verständnis von Yoga einbezogen und das bis heute bekannte Hatha Yoga (kraftvolle Vereinigung von Körper und Geist) begründet. Diese Tatsache beeindruckt mich immer wieder, besonders vor dem Hintergrund, was wir hier im Westen meinen unter Yoga zu verstehen. Den Körper auf der Matte zu bewegen ist eigentlich nur ein kleiner Teil von etwas Großem, das man erfahren kann, aber nicht muss. Als Urvater des modernen Yoga und klassischen „Yoga Flows“ wird Krishnamacharya (1888-1989) oft bezeichnet. Er folgte der Idee die einzelnen, aus den Schriften bekannten Asanas (Körperhaltung) so für den Einzelnen aneinander zu reihen, dass sie Körper und Geist gesund halten. Daher betrachtete er sich selbst mehr als Ayurveda-Heiler und Gelehrter statt als Yogalehrer. Heute würden wir wahrscheinlich dazu „Yogatherapie“ sagen. Gleichzeitig war es ihm ein Anliegen, diese Form der Gesunderhaltung dem Kollektiv, allen Menschen einfach zugänglich zu machen, in dem er eine allgemein gültige und feste Reihenfolge von Übungen anlegte, die über die Jahre von seinen Schülern und anderen Gelehrten weiterentwickelt und überliefert wurde. Die wohl bekanntesten seiner Schüler waren Indra Devi, T. K. V. Desikachar, B. K. S. Iyengar und Pattabhi Jois.

© Film „Der atmende Gott“

Pattabhi Jois (1915-2009) gilt bis heute als bedeutender Vertreter des Hatha Yoga. Das von Krishnamacharya gelernte Hatha-Yoga-System unterrichtet er unter der Bezeichnung Ashtanga (Vinyasa) Yoga (ashtanga = achtgliedrig) über Jahre hinweg in seiner großen Yogaschule „Ashtanga Yoga Research Institute“ in Mysore, die ihre Bekanntheit bis in den Westen fand. Auch B. K. S. Iyengar (1918 bis 2014) wurde zu einem der führenden Yogalehrer weltweit mit seiner Methode die Asanas (Körperhaltung) systematisch so mit Hilfsmitteln auszuführen und lange zu halten, dass sie für jeden zugänglich sein können. Er veröffentlichte außerdem zahlreiche Bücher über die Praxis und Philosophie des Yoga.

© Foto „Der atmende Gott“

Eine sehr schöne und eindrucksvolle Dokumentation über diese Lehrer und den Ursprung des modernen Yoga ist übrigens „Der atmende Gott“. Es ist ein Abbild einer Zeit, die durch das bewegte Bild greifbar und verständlich wird. Ich schaue mir diesen zeitlosen Film immer wieder mit Friede an und bin jedesmal verzaubert von der Disziplin und der gleichzeitigen Leichtigkeit dieser Lehrer.

Und was hat Yoga mit mir zu tun?

(Dein) Yoga fängt bereits damit an, dass Du Dich damit beschäftigst. Die einen mögen es Neugier nennen, die anderen Sinnsuche. Oder um es mit Oshos´ Worten auszudrücken „Die Disziplin Yoga beginnt dort, wo wir bereit sind, die Illusion des Fremdsein in uns zu verstehen.“ Jeder hat einen anderen Beweggrund bewusst(er) leben zu wollen, und Yoga kann der Anstoß dazu sein. Bei mir war tatsächlich Yoga der Anstoß vor über 10 Jahren mein Bewusstsein zu schärfen und mein Leben zu ändern. Es fing eigentlich „nur“ mit Rückenschmerzen an, die ich einfach nicht mehr los wurde. Nach einer langen Ärzte-Odyssee landete ich beim Yoga mit dem Wunsch, meinen Körper von Schmerzen zu befreien. Was befreit wurde, war nicht nur ein schmerzender Körper, sondern auch all die Schichten darunter: schmerzende Gedanken, schmerzende Gewohnheiten, schmerzende Emotionen. Nach und nach kam all das Dunkel in mir ans Licht, so dass ich die Augen nicht mehr davor verschließen konnte. Mit dieser wiederum schmerzvollen Erfahrung gab es kein Zurück und kein Verdrängen mehr. Ich hatte meinen wahren Kern erkannt und konnte ihn nicht mehr leugnen. Was vielleicht etwas abstrakt klingt, hieß damals konkret: Ich konnte mir den Job nicht mehr schön reden und kündigte, um mich selbständig zu machen. Ich trennte mich von einer über lange Zeit schlecht tuenden Beziehung und verbrachte mehr Zeit mit Menschen, die mir gut taten und mehr Zeit alleine. Meine Zeit lernte ich anders einzuteilen und Pausen einzulegen. Ich machte regelmäßig Yoga, stellte meine Ernährung um und wurde meine Schmerzen letztlich los.

* Osho (1931 – 1990) war ein indischer Philosoph und Begründer einer neuen, liberalen Yogabewegung 

B.K.S Iyengar hat einmal gesagt: „Yoga bringt Licht ins Dunkel“, und dieses Licht ist in jedem von uns verborgen. Unsere Aufgabe besteht im Grunde darin, uns von allem Dunklen zu befreien und diese Licht zu erwecken.

Meine Quellen und Inspiration zu diesem Artikel

All mein Wissen habe ich von meinen Yogalehrern, Gurus und inspirierenden Menschen gelernt. Vielen Dank an dieser Stelle an Birgit Damisch (meine erste Yogalehrerin) und Sophia Cleff (meine engste Freundin), die mich während meiner Vinyasa Yogalehrerausbildung geschult (und darüber hinaus) begleitet haben. Danke an Mirjam Wagner dafür, dass ich Yin Yoga entdecken und lernen durfte. Und an Hebamme und Yogalehrerin Melanie Pfeiffer für ihr Wissen im Bereich Prä- und Postnatal Yoga. Danke an alle weiteren Yogalehrer, bei denen ich selber Schüler war und Danke an meine Schüler, für die ich Lehrer sein darf. Danke an Sarasvati vom Yoga Coach Podcast, die mich auditiv in der letzten Zeit begleitet hat. Und Danke an all die spirituellen Yogis, die Yoga gelehrt und verbreitet haben.

 

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